Als ich aufwuchs, wurde mir in der Schule und in der Welt der männlichen Umgangsformen gegenüber Frauen beigebracht, dass jeglicher Körperkontakt mit einer Frau tabu sei – außer vielleicht eine Umarmung von deiner Mutter oder Großmutter. Bei allen anderen – Mädchen in der Schule, Frauen bei der Arbeit – musste man sich eine Glaswand zwischen sich und ihnen vorstellen. Diese Wand wurde nur dann entfernt, wenn sie sich dazu entschlossen, Stück für Stück oder auf einmal. Ich dachte, das sei einfach „menschliche Etikette“, aber ich habe mich geirrt. Es war männliche Etikette, die auf der Angst beruhte, als Raubtier oder später als eine Art Perverser angesehen zu werden.
Schnellvorlauf: Ich bin jetzt 56, nehme seit 15 Jahren Hormone und gehe nicht mehr viel aus. Erst kürzlich habe ich entdeckt, dass Frauen sich oft mit Umarmungen begrüßen, manchmal sogar mit einem spielerischen Kneifen in die Brust. Mir wurde gesagt: „Das ist eine Frauensache.” In meinem alten „Männerleben“ hatte ich gehört, dass dieses Verhalten als latenter Lesbianismus abgetan wurde. Als ich es dann aus nächster Nähe sah, war ich total verwirrt. Ich verstand es, aber ich dachte: Darf ich als transfeminine Person das auch machen, wenn enge Freundinnen damit anfangen? Und warum machen sie das überhaupt – es fühlt sich komisch an.
Hier ist der Haken: Für Männer waren Brüste schon immer sexuell aufgeladen. Wenn Männer also sehen, wie Frauen sich gegenseitig an den Brüsten kneifen, interpretieren sie das als eine Art von Lesbentum. Und Männer selbst berühren sich nicht so – weder Brust noch Po, nichts –, weil das in ihrer Welt als homoerotisch gilt und die meisten Kerle alles tun, um nicht als schwul zu gelten.
Dann kam der Moment mit meiner Partnerin, einer cis-Frau. Sie kniff mir in eine meiner B-Körbchen-Brüste, und plötzlich war ich in einer Zwickmühle. Meine Brüste sind immer noch mit meinem Unterleib verbunden. Als sie das tat, wurde mein Körper heiß, und zwanzig Minuten später schwebte ich wie ein brünstiger Hirsch herum – nur um dann dafür kritisiert zu werden, dass ich „die falschen Signale gelesen“ hätte. Aber Moment mal: Du kneifst mir in die Brust, mein Körper reagiert darauf, und ich soll das einfach als freundliches „Guten Morgen” abtun? Das hat mich total verwirrt.
Da wurde mir klar: Ich habe die Rituale von Frauen am Arbeitsplatz oder in sozialen Clubs nie wirklich beobachtet, weil ich alleine arbeite und selten ausgehe. Diese ganze „Brustkniff“-Sache ist also Neuland für mich. Und jetzt frage ich mich: Muss ich fragen, so wie man fragt: „Bist du ein Umarmungsmensch?“ – sollte ich sagen: „Bist du ein Brustkniff-Mensch oder nicht?“ Oder bleibe ich hinter der Glasscheibe, was mich laut einigen Leuten kalt erscheinen lässt?
Das ist eine echte Zwickmühle. Wenn ich mitmache, riskiere ich dann, als Raubtier angesehen zu werden? Wenn ich es nicht tue, werde ich dann aus dem Club ausgeschlossen? Biete ich eine Brust an, um im Club zu bleiben, oder halte ich Abstand? Ehrlich gesagt, ich weiß keine Antwort darauf. Vorerst habe ich beschlossen, diese Schulmädchenrituale den Frauen zu überlassen, die damit aufgewachsen sind. Das erscheint mir am sichersten. Außerdem bin ich eine anständige Dame mit anständigen Werten und halte mich an gute Umgangsformen.
